Widerstand

Der Widerstand beginnt mit einer Hütte im Wald, mit einer allein, mit vielen Hütten im Wald, alle allein. Ein leises Flüstern, fast noch reiner Gedanke, behaust von vielen Gefühlen, schlüpft über die Schwelle zum Gartentor hinaus in den Wald über die Lichtung und durch den Holunder, leise im Bach plätschernd hin zur nächsten Hütte durch die Holzkonstruktion des Daches.

Vereinigt sich das Flüstern mit den Worten unter dem Giebel, die auch hinaus wollen und drücken und schieben und schließlich das Blei sprengen und weiter fliegen, sich vereinigend mit dem nächsten Schwarm und dem nächsten. Bis das Flüstern ein Raunen wird und dann vielleicht ein Wind, der Blätter bewegt und Wipfel und Wolken und auch die abgelegenste Hütte nicht vergisst und wenn aller Worte Widerstand alle Kraft geschöpft haben aus den Wurzeln und Blüten und Quellen entsteht ein Brausen, nimmt Anlauf und ergießt sich in die Schluchten der Stadt!

Und es geschieht…nichts. Die Räder drehn sich ungerührt und im Rhythmus, Glasfaserkabel summen und Blech wird gebogen. Die Stadt atmet weiter, Energie ein, Plastik aus; und kaut und frisst. Der Widerstand wird wieder ein Raunen, dann ein Flüstern, geht unter im Lärm der Motoren, selbst für sanft schnurrende Elektromobilität noch zu schwach. Der Widerstand strandet im Stadtpark, bleibt im Rhododendron hängen und reißt, zerreißt in kleine Fetzen. Die wehen auseinander, kleiner als Kippen, wenig größer als Glühwürmer, verlieren einander leer und matt in den Schluchten der Stadt.

Bis eins, im Rinnstein treibend, plötzlich etwas gehört hat, ganz leise, aber bestimmt gehört, und sich festkrallt in einem Riss im Asphalt, drei Meter vorm Gully und den Bordstein entert. Da war doch, bestimmt, etwas weiter dort, hinterm Fenster… ein Flüstern in bekannter Tonlage, der gleiche Gedanke, behaust von vielen Gefühlen, schlüpft durch den Dreh-Kippbeschlag hinaus auf die Straße und der kleine Fetzen Widerstand schließt sich an, über das Kopfstein und dort, an der Ecke hinterm Beton schon das nächste Flüstern und bald das nächste.

Im Stadtpark der Rhododendron schüttelt sich und alles kommt frei, was noch gehangen hat, reißt sich zusammen und fliegt dem Flüstern direkt in die Worte. So entsteht wieder ein Raunen, wächst weiter zum Wind, der in jeden Blumenkasten fährt und keinen Mülleimer auslässt, bis auch der kleinste Fetzen wieder segelt im Schwarm.

Der Wind wird ein Sturm. Der rüttelt an allem, den Rädern, den Blechen, den Displays, aber vor allem an uns. Er schüttelt und zerrt, fährt uns in die Glieder, nicht eben freundlich, denn die Lethargie hält sich fest in unseren Körpern, in unseren Köpfen und unsere Herzen? Ach, unsere Herzen sind schwer.

Aber wo entsprang denn der geflüsterte Widerstand in den Hütten, hinterm Beton, wenn nicht in unseren Herzen? Woher kamen denn die Gefühle, die den Gedanken behausen, wenn nicht aus uns? Haben wir es vergessen? Das Unwohlsein beim Hören der Nachrichten, die Dürre der Sommer oder den Schrecken schlafloser Nächte?

Und plötzlich, auf dem Weg zur Arbeit oder beim Einkaufen, vor leuchtenden Displays und hinterm Lenkrad, wird das Flüstern unserer Herzen ein Wind, der uns den Sand aus den Augen weht. Das Unwohlsein bricht sich Bahn. Unsere Herzen brausen und die Papiere fliegen davon. Bis wir die Anspannung endlich loslassen, einander ansehen, auf der Straße, in den Hütten, hinterm Beton, und es wissen: Wir sind jetzt hier. Was jetzt geschieht, machen wir!

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